[bUm-blog] Who cares? Perspektiven zur Sorgearbeit aus der bUmunity

Wie will ich arbeiten und wie kann Solidarität in der Gemeinschaft gelebt werden?

Im bUm sind solidarisches Miteinander, Anti-Diskriminierung und regenerative Kultur sehr wichtige Themen und Werte für uns. Beim Thema Gemeinschaft steht Care Work im Mittelpunkt – wir wollen aufeinander aufpassen, unsere Bedürfnisse erkennen, äußern und die der anderen respektieren. 

In unserem monatlichen Format bUmunity Connect möchten wir nicht nur die Bedürfnisse aus der bUmunity abfragen, sondern auch Themen behandeln, die uns alle etwas angehen, die uns beschäftigen und miteinander verbinden.  

Anlässlich des Equal Care Days haben wir uns zusammengesetzt, um uns dem Thema Care work/Fürsorgearbeit aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, sowie Projekte aus der bUmunity vorzustellen. Überraschend war es nicht, dass wir um einiges über die geplante Zeit gekommen sind. Sobald wir anfangen, über Care Arbeit nachzudenken, sehen wir sie überall.

“Care Arbeit ist unverzichtbar in jedem Bereich unseres Lebens. Sie ist häufig un- oder unterbezahlt, obwohl die Wirtschaft und unsere Gesellschaft davon abhängig sind. Problem ist: Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem  ist profit-orientiert. Das heißt: Nur das, was Geld bringt, ist sichtbar.” erzählt Liska von Wirtschaft ist Care. Dabei zeigt die Zeitverwendungsstudie von 2012/2013, dass in Deutschland in einem Jahr 89 Mrd. Stunden für unbezahlte Care-Arbeit aufgewendet wurden. Wenn man diese Stunden mit einem geringen Stundenlohn versehen würde, macht das knapp  40% (also fast die Hälfte) des Bruttoinlandsprodukts aus. Was wir in oder von der Wirtschaft sehen, ist also nur die Spitze des Eisbergs. Dieser wird (unsichtbar unter dem Wasser) getragen von einem riesen Batzen Care Work.

Was bedeutet Care Arbeit überhaupt?

Das kann das Team hinter dem Equal Care Day am besten erklären: “Care-Arbeit beschreibt die unbezahlten und bezahlten (re-)produktiven Tätigkeiten des Sorgens und Sich-Kümmerns, ist Fürsorge und Selbstsorge. Sie beginnt mit der Begleitung und Versorgung Neugeborener und Gebärender, reicht über die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Vor- und Grundschulalter, die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit oder Behinderung, über die Hilfe zur Selbsthilfe, unter Freund*innen, Nachbar*innen, im Bekanntenkreis, bis zur Altenpflege, Sterbebegleitung und Grabpflege. Der Care-Begriff, der der Equal Care Day-Initiative zugrunde liegt, meint also auch das ganz alltägliche, immer wiederkehrende Kümmern und Versorgen aller Haushaltsmitglieder, und das Wissen, die Organisation und Verantwortung (‘Mental Load’) die es dafür braucht. ‚Care‘ meint nicht nur die körpernahe Care-Arbeit, sondern schließt auch Kochen, Putzen, Reparaturen und alle Arbeiten im Haushalt mit ein, und beginnt in manchen Ländern schon mit dem Besorgen von sauberem Trinkwasser oder Brennholz.”

Wie kam’s dann zum Equal Care Day?

2016 haben zwei Journalistinnen, die gemerkt haben, dass das Thema Care Work zwar oft auf Interesse stößt, aber nicht priorisiert wird, als Konsequenz den Equal Care Day eingeführt. Das Datum, also der 29.03. ist dabei kein Zufall. Diesen Tag gibt es nämlich immer nur alle 4 Jahre, im sogenannten Schaltjahr. Das heißt, der 29. fällt auch gerne mal hinten runter, wird vergessen, übersehen – genau wie Care Work eben. Auf der Equal Care Website findet sich noch eine weitere Erklärung: “Der Equal Care Day liegt auch deshalb auf dem 29. Februar, weil Care-Arbeit zu 80% von Frauen übernommen wird, ob im Privaten, im Ehrenamt oder im professionellen Bereich. Männer übernehmen also 20% und brauchen damit viermal so lange, um denselben Umfang an Fürsorge- und Care-Arbeit beizutragen.” 

Liska von Wirtschaft ist Care

Am Tag vor dem 29.2. wurde die aktuelle Zeitverwendungsstudie veröffentlicht, die (leider nur) immer alle 10 Jahre durchgeführt wird und misst, wie bzw. mit was Menschen ihre Zeit verbringen. Leider wird in der Studie nur in binären Geschlechterrollen gedacht, weshalb die Daten nur Frauen und Männer unterscheiden. Der Unterschied in der Zeitverwendung zwischen den beiden Geschlechtern zeigt allerdings auch, wie sehr in den Köpfen vieler Menschen Care Work immer noch mit dem kulturellen Geschlecht der Frau verbunden ist. Die Mittelwerte zeigen: Von durchschnittlich 44h pro Woche, die für Arbeit aufgewendet werden, verbringen Männer 23h mit bezahlter Arbeit, während bei Frauen nur 15,5h von insgesamt 45,5h pro Woche mit Geld entschädigt wird. Das heißt 21h pro Woche üben laut dieser Studie Männer unbezahlte Care Work aus, während es bei Frauen 30h sind. Das bedeutet kurz und knapp: Frauen leisten pro Tag 1,17h mehr unbezahlte Arbeit als Männer – das ist umgerechnet quasi ein extra Arbeitstag pro Woche – ohne Gegenleistung.

Wirtschaft ist Care möchte zeigen, dass Care Work zentral für unsere Gesellschaft ist und daher in das Zentrum unseres Wirtschaftens gehört. In der anhaltenden Klima- und auch Care-Krise möchte der Verein alternative ökonomische Modelle und Lösungen finden. Das Motto ist: Bedürfnis-orientiert statt Profit-orientiert. Ein paar Beispiele dafür stellen andere bUmunity Mitglieder vor:

Marta und Marie mit der Drip App

Drip ist eine Open Source Perioden-Tracking App. Im Kontext von Care Arbeit stecken hier also besonders die Aspekte Gesundheit und Selbstfürsorge mit drin. Aber auch (emotionale) Care Arbeit in Partner:innenschaften und sonstigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Darüber hinaus aber auch (fehlende) Anpassung von Arbeitsbedingungen und Leistungserwartungen an eine Person, die hormonellen Schwankungen ausgesetzt ist – sei das aufgrund einer Schwangerschaft, der Menopause, Transitioning oder einfach der monatlichen Menstruation. Auch hier geht es wieder um Bedürfnisse und gesundes Arbeiten. Im Unterschied zu anderen Perioden Apps liegt dem Team von Drip aber vor allem auch Sicherheit und Datenschutz sehr am Herzen. Die meisten Perioden Apps sammeln deine Daten in einer Cloud und nutzen (oder verkaufen) sie, um personalisierte Werbung zu schalten. Gleichzeitig ist es oft nicht möglich, die über einen langen Zeitraum dokumentierten Daten zu exportieren, was es erschwert, die App zu wechseln. Dann ist da auch die Sache mit der “Wissenschaftlichkeit”. Wie genau ist die Prognose deines nächsten Eisprungs und übernehmen die Firmen dann auch wirklich die Verantwortung, wenn du doch schwanger wirst und gegebenenfalls deine Schwangerschaft abbrechen musst?

“We care, dass Leute auch andere Optionen haben, ohne mit Geld oder Daten dafür bezahlen zu müssen.”

Said und der You Are Not Alone – Yana bot 

Das “da sein” für Menschen in schwierigen Situationen, das Recherchieren nach weiteren Schritten, das Raussuchen wichtiger Informationen und das beraten ist auch Care Arbeit. Es gibt Beratungsstellen, die das tun und Organisationen, die sich hauptberuflich damit befassen, aber leider viel zu wenig. Ein ganz großer Teil von Beratungsarbeit wird von ehrenamtlichen und gemeinnützigen Vereinen übernommen. “Auch beim Thema EInwanderung ist Care Arbeit ein riesen Thema. Fast die gesamte Willkommenskultur wird von Ehrenamtlichen getragen, die unbezahlte Arbeit leisten.” Menschen, die nach Deutschland kommen, sind andererseits eben auch auf diese Care Arbeit angewiesen. Oft sind es auch die Betroffenen selbst, die sich – sobald sie die Kapazität und Möglichkeiten dafür haben – selbst organisieren und anderen Menschen helfen möchten, damit die nicht das gleiche durchmachen müssen. Meist sind marginalisierte Gruppen nicht nur die, die aufgrund von Klasse, Herkunft, Geschlecht oder Lebensrealität nicht nur mehr Care Arbeit leisten müssen, sondern oft haben sie aufgrund fehlender finanzieller Mittel auch wenig Möglichkeiten, Dinge auszulagern, aktiv anzugehen oder Platz und Zeit dafür zu schaffen. Said und sein Team haben Yana entwickelt, um marginalisierten Gruppen, also Menschen, die nicht vom aktuell dominanten System profitieren und weniger Privilegien haben, zu helfen. Und zwar mit einem Chatbot, der im Fall einer erlebten oder miterlebten Diskriminierung als erste Ansprechperson fungiert. Mithilfe einer KI kann der Vorfall dokumentiert und aufgearbeitet werden. Der Zugang ist niedrigschwellig und funktioniert über Konversation, nicht auf einer überfordernden Suche bei Google oder einem demotivierenden Versuch, sich ohne Hilfe im deutschen Rechtssystem zu orientieren. “You are not alone” ist aber vor allem das, was der Name auch aussagt: Ein Weg, das Erlebte nicht zu verdrängen und nicht zu tabuisieren, die mentale Last nicht alleine aushalten zu müssen. 

“Lösungen müssen intersektional gedacht werden” sagt Said und da können wir nur alle zustimmen. Die kleine Auswahl aus Vorträgen aus der bUmunity zeigt, wie weit gefächert Care Arbeit ist und wie zentral sie in jedem einzelnen Aspekt unseres (Zusammen-)Lebens ist. 

Weiterführende Links

Wirtschaft ist Care

Zeitverwendungsstudie 2022

Drip App

Yana Bot

Equal Care Day

/ der Mental Load Test für Zuhause

/ der Mental Load Test für den Arbeitsplatz

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